Der Winter 2015/16 war in vielen Regionen und in der Gesamtsumme betrachtet, ein Mildwinter und ein Riesenreinfall! (Meine Analyse: So war der Winter 2015/16: Der Anfang vom Ende für alle zukünftigen Winter?)
Dr. Judah Cohen vom AER in den USA hat sich nun an die wissenschaftliche Nachbetrachtung begeben und höchst interessante Schlussfolgerungen gezogen, die einleuchten und die ich selbst auch für die zukünftigen Jahre berücksichtigen werde. Auch für die zukünftigen Winter hat Dr. Cohen eine handfeste Prognose parat.
Doch zunächst einige grundsätzliche Worte zum ewigen Streit, ob sich eine Langfristwinterprognose überhaupt lohnt, bevor wir zum Winter 2015/16 gehen und rückwirkend eine Lupe auf den Mildwinteralptraum richten. Wie konnte es trotz der niedrigen Sonnenflecken und trotz eines CP El Niño, der ja Kaltwinter mehrheitlich begünstigt, zu einem solchen Supermildwinter kommen?
Winterprognosen: Unseriöse Hoffnungsmacher oder in Arbeit befindliche Optimierung?
Dr. Cohens intensive Forschungen führten zu der Erkenntnis, dass bestimmte Faktoren das Winterklima der nördlichen Hemisphäre prägen. Diese Erkenntnisse widersprechen in vielen Aspekten den herkömmlichen Prognoseleitlinien, haben sich aber am Ende als deutlich überlegen gezeigt, so auch in diesem Winter.
Man muss sich als Laie dies auch einmal genauer vorstellen: Der Winter ist so komplex, dass eine Prognose im Grunde unmöglich ist, wie es auch Jörg Kachelmann immer wieder betont. Kleinste Detailänderungen im Wettersystem führen innerhalb von Tagen zu Änderungen, die das Klima von Dauerfrost zu 15 Grad wechseln lassen. Insofern stimmt die Einschätzung, dass Langzeit-Prognosen für den Winter Augenwischerei und Hoffnungswahrsagerei sind.
Korrekte Vorhersage: CFSv2 (NOAA) für Dezember 2015!; © NOAA
Jetzt kommt das große „Aber“.
Diverse Stratosphärenmeteorologen, wie auch die „Wetterleuchte“ in diversen Wetterforen haben gezeigt, dass – wenn auch nicht im Detail – die grobe Richtung des Winterklimas durchaus erfolgreich vorhergesagt werden kann, solange man eine bestimmte Varianz akzeptiert. Mit anderen Worten: Man kann nicht vorhersagen, ob es in Deutschland, geschweige denn in Tropenhessen oder Berlin in einer Hälfte eines Wintermonats zu Schnee kommen kann und die Temperaturen exakt auf den Punkt 0 Grad oder 5 Grad betragen.
Ich schließe daraus, dass es durchaus Sinn macht, Langfristprognosen zu erstellen, um ein generelles „Gefühl“ für den Winter zu bekommen. Wenn man auch nicht jedes Monatsdrittel jedes Wintermonats exakt vorhersagen kann, so kann man sehr wohl die Wahrscheinlichkeiten beziffern, ob am Ende eher ein normaler, kalter oder milder Winter in der Summe stehen wird.
Im Winter selbst sind die Mittelfristprognosen von Dr. Cohen dann auch sehr gut gewesen, dass man trotz anderweitiger Zeichen zumindest kurzfristige Kaltperioden wie jene im Januar sehr gut voraussagen konnte.
Das Ziel kann also nur sein, das bisher durchaus als spärlich zu bezeichnende Wissen zu erweitern, zu lernen und immer besser zu werden, wie es ja die Wissenschaft auch stets anstrebt. Und genau dies hat Dr. Cohen im Sinn. Dass bei ihm handfeste monetäre Motivationen auch eine Rolle spielen (das AER-Institut bietet seine Profileistungen für Unternehmen an, die auf exakte Klimaprognosen angewiesen sind), ist der Sache nicht hinderlich, sondern wie immer beim Menschen höchst förderlich. Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen hat Dr. Cohen nun für den vergangenen Winter gezogen? |
Die Thermometer des Winters: See-Eis, Schneedecke, Polarwirbel und Sibirenhoch
Dr. Cohen verwendet für seine Prognosen im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern ein einzigartiges Modell.
Das See-Eis der Arktis und generell die Schneedecke im Oktober auf dem eurasischen Kontinent stellen dabei ein entscheidendes Kriterium dar. Diese sind direkt verbunden mit der Entwicklung des für unseren Winter äußerst wichtigen sibirischen Hochs, dadurch die Entwicklung eines labilen Polarwirbels und somit einer negativen Arktischen Oszillation (AO). Das bedeutet: Die Entwicklung einer negativen AO sieht Dr. Cohen völlig losgelöst vom Effekt eines CP El Niño!
Schematisch dargestellt sieht das im Überblick folgendermaßen aus:
Oktober: Hohe Schneedecke in Eurasien
-> Entwicklung eines Sibirienhochs (Schnee führt zu Hochdruckgebieten)
-> Erhöhter Wärmefluss von der Troposphäre in die Stratosphäre
-> Polarwirbel wird gestört und labil = negative AO
-> der instabile Polarwirbel bildet Wellen aus. Diese Tröge legen sich mit arktischer Kaltluft bei günstiger Wetterlage über Europa
Mehr noch: Folgende Aspekte über den Oktober hinaus fördern einen Kaltwinterbegünstigenden Effekt.
* Nicht viel, sondern WENIG See-Eis in der Arktis
* Feuchtes Klima in Südeuropa und im mediterranen Raum, aber
* Trockenes Klima in Skandinavien
* Später Herbst/Winter: See-Eis in der Barentsee – wenig See-Eis begünstigt die Stärkung des Sibirienhochs und damit einen Kaltwinter.
* Das Sibirienhoch muss nordwestlich des Zentrums expandieren und/oder generell sich stärken, um Europa Winter zu bringen.
Umgekehrt ausgedrückt: Gibt es wenig Schneebedeckung im Oktober in Eurasien (Sibirien/Russland), viel See-Eis im November in der Barentsee und ein schwaches Sibirienhoch, dann ist ein Mildwinter vorprogrammiert.
Fazit: Das Sibirienhoch ist für die Nordhalbkugel der ultimative Gefrierschrank und Indikator für den Winter!
Warum scheiterte der Winter 2015/16?
Wie in meinen damaligen Winterprognosen im Herbst 2015 dargestellt, waren die Bedingungen für einen Kaltwinter optimal. Dr. Cohens Parameter lagen ebenso im deutlich günstigen Bereich: Die Schneedecke in Eurasien im Oktober 2015 war die vierthöchste seit 1972! Und auch das See-Eis der Barentsee im November 2015 belief sich auf den drittniedrigsten Stand seit 1972.
06.11.2015: Die eurasische Schneedecke im Oktober sah gut aus. Trotzdem scheiterte der Kaltwinter!, © NOAA
Vor allem zwei Aspekte durchkreuzten die Auswirkungen der Folgen aus diesen günstigen Voraussetzungen:
(a) El Niño und die daraus erfolgende Hitze der Ozeane
(b) die westliche QBO-Phase, die unterschätzt wurde.
Ein Detailblick offenbart Erstaunliches, was den frühen Winter 2015 angeht: Die Wärmeübertragung von Troposphäre in die Stratosphäre als Voraussetzung eines Major Warmings funktionierte als Folge der Schneebedeckung und dem niedrigen See-Eis sowie dem starken Sibirienhoch perfekt.
Eigentlich hätte dies einen Kaltwinter für Europa garantiert. Aber dann entdeckte Dr. Cohen etwas Verblüffendes: Die Vektoren, also Richtungen, die diese Wärme nahm, erfolgte nur zu einem Bruchteil in Richtung des Nordpols, wo sie den Polarwirbel schwächen sollte (sobald dieser labil wird, ergeben sich Tröge und fluten Deutschland im günstigen Fall mit arktischer Kälte).
Der Großteil der Vektoren aber führte die Wärme völlig untypisch nicht zum Pol, sondern in die entgegengesetzte Richtung, zum Äquator! Der Großteil der Wärme, die den Polarwirbel also schwächen sollte, kam überhaupt nicht an und das stärkte sogar den Polarwirbel, womit er die Kaltluft von Europa wie eine Mauer abschirmte statt „zu lecken“.
Jetzt stellt sich die Frage, warum die Wärmevektoren falsch liefen. Dr. Cohen vermutet mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gründe in der westlichen QBO-Phase. Wir erinnern uns: Die Quasi-biennale Oszillation beschreibt die Winde in der Stratosphäre, die etwa alle 2 Jahre (daher „biennal“ = zweijährig) ihre Richtung wechseln. Während in der Troposphäre am Boden bekanntlich wir in einer mehr oder weniger Dauerphase westlicher Winde durch den Atlantik eingebunden sind, sieht dies in der höheren Stratosphäre anders aus!
In einer Phase, in der östliche Winde in großen Höhen vorherrschen, werden kaltwintergünstige Auswirkungen für Europa gesehen. In einer westlichen Phase wird ein Mildwinter begünstigt.
Aktuelle QBO-Phase: Westwind (dunkel schraffiert). © FU Berlin
Wie es aussieht, wurde die QBO deutlich unterschätzt und zu unserem Unglück hatte die QBO erst im Herbst 2015 die Richtung zyklisch von Ost auf West geändert. Ein weiterer Sargnagel bei unserer ewig enttäuschten Hoffnung auf Winter, aber auch ein Beleg, wie viele Faktoren zusammen kommen müssen, damit das geografisch benachteiligte Europa einen Kaltwinter bekommt: Sibirienhoch, große Schneedecke, niedriges See-Eis, östliche QBO, labiler Polarwirbel und dann auch noch eine entsprechend günstige Großwetterlage, die die Kälte zu uns führt und nicht an uns vorbei!
Die QBO-Phase wird, da sie ja 2 Jahre anhält, im (verfluchten) Westwindstatus bis 2017 bleiben und somit sich ungünstig für den Winter 2016/17 auswirken plus La Niña mit negativen, milden Auswirkungen …
Dr. Cohen hat aber noch eine schlechte Nachricht für uns Europäer.
Der „kalte Fleck“ im Nordatlantik, den auch Dr. Cohen als Folge der Grönland-Eisschmelze und als eine Abschwächung des Golfstroms (genauer: Eine Verlangsamung der thermohalinen Zirkulation, also der AMOC) sieht, führt zu einer Veränderung der Luftströme. Diese stärken den Jetstream im Winter, womit Europa im Westfluss warmer Atlantikwinde verbleibt.
Diese Aussage ist jedoch noch ungenau. Es bedeutet, dass TROTZ einer negativen AO und eines labilen Polarwirbels (der ja durch den Jetstream begrenzt wird) Europa oft dennoch nicht im Trogbereich landet, weil der Atlantik mit dem „Kalten Fleck“ regional den Jetstream nur für Europa wieder stärkt. Auf gut deutsch: Das ist die ultimative Arschkarte für uns. Und das ist auch der Grund, warum ab einer gewissen Entfernung vom Atlantik ab Osteuropa es ebenso kalt wird wie in der entgegengesetzten Richtung in den USA. Europa liegt somit fast immer im Wärmebereich, weil selbst bei Troglagen und negativer AO die Lage auf dem Atlantik mit dauerpositiver NAO daherkommt eben aufgrund der Stärkung des Jetstreams durch den „Kalten Fleck“ und Troglagen „glattgebügelt“ werden bis einschließlich Westeuropa. Die bekannte Troglagenstudie und dieser Forschungsgegenstand des PIK hatte ich bereits 2015 vorgestellt: Der Golfstrom schwächelt und Deutschland versinkt deswegen in Hitze?
Ob sich das ändert, sobald der Kalte Fleck sich ausweitet oder sogar der Golfstrom abbricht, wird sich zeigen. Die derzeitigen wissenschaftlichen Annahmen gehen allerdings entweder von keinem Abbruch aus (was für uns lebenslange Mildwinter bedeuten würde, da der Kalte Fleck vermutlich bleibt) oder von einem Abbruch des Golfstroms erst nach dem Jahr 2100, was wir nicht mehr erleben werden.
This remains an open debate, but the “cold blob” in the North Atlantic has been associated with a strengthened north-south temperature gradient a strengthened Jet Stream a stubbornly positive NAO and a mild Europe. If nothing changes by next winter I feel it is hard to forecast other than more of the same.
(Es wird eine offene Diskussion bleiben, aber der „kalte Fleck“ im Nordatlantik wird mit einem gestärkten Nord-Süd Temperaturgradient, einem stabileren Jetstream und einer geradezu störrisch positiven NAO [North Atlantic Oscillation] sowie einem milden Europa assoziiert. Wenn sich im nächsten Winter nichts daran ändern, halte ich es für unwahrscheinlich, andere Prognosen aufzustellen als diese, die immer in die gleiche [milde] Richtung gehen.)
Dr. Judah Cohen
Viel schlimmer geht es eigentlich nicht mehr. Ich wünschte, ich könnte hier etwas anderes schreiben, aber die Analysen zeigen den ultimativen Worst Case, wie er klimatisch gleichbedeutend mit einem 6er im Lotto* für Sofeten ist.
Die einzige Hoffnung, die uns bleibt, ist, dass sich auch das Klima und seine Entwicklungen überraschend ändern können und letztlich unvorhersehbar bleiben. Der aktuelle, seriöse und belegte Stand deutet allerdings trotz niedrigem Sonnenfleckenstand auf den Ausfall von Winter für Westeuropa (abgesehen von Episoden und dem Bergland) in der Summe.
Dr. Cohen: El Niño wird für den Kaltwinter überbewertet! Uns erwarten Dauermildwinter
Bezüglich der Prognosen, vor allem von CFS, bemängelt Dr. Judah Cohen, dass diese offenbar massive Schwächen bei der Stratosphären-Meteorologie aufweisen und auch bei der Auswirkung des Wärmetransports von der Troposphäre in die Stratosphäre (sog. TST-Coupling-Event) als Vorstufe eines Major Warmings. Das Ergebnis waren in der Reihe eher schlechte Prognosen seitens CFS bezüglich der Geopotentialvoraussagen. Wie ich selbst gezeigt hatte, waren die Temperaturvorhersagen eines milden Winters allerdings nur von CFSv2 (NOAA) korrekt vorhergesagt worden – auch in Kontrast zu Dr. Cohens Prognose.
Before the winter I stated that in contrast to other forecasters the strong El Niño lowered my confidence in the winter forecast and did not increase it. (Vor Beginn des Winters sagte ich bereits im Unterschied zu anderen Prognosen, dass der starke El Niño meine Zuversicht in eine [kalte] Wintervorhersage reduzierte und nicht etwa erhöhte.)
Dr. Judah Cohen
Beim El Niño hat sich gezeigt, dass die Annahme, ein CP El Niño allein würde zu einer Destabilisierung des Polarwirbels beitragen, zu simpel und daher falsch ist.
Vielmehr hat sich gezeigt, dass die o.g. Faktoren von eurasischer Schneedecke, See-Eis und Sibirienhoch deutlich wichtiger einzuordnen sind, wie auch die QBO. El Niño hat trotz seines CP-Charakters durch das Aufheizen der Ozeane genau den gegenteiligen Effekt bewirkt: Eine Zerstörung der günstigen Faktoren, die uns einen Kaltwinter gebracht hätten.
Zudem wird offenbar die QBO-Phase deutlich unterbewertet.
Dr. Cohen wirkt ebenso geschockt wie alle anderen, was diesen seltsamen Winter 2015/16 angeht. Die natürliche Klimavariabilität nennt er folgerichtig als Gewinner und aus seinen Worten klingt beinahe Resignation, wenn er sagt, dass die Beherrschung und Berechnung des Chaos sein Metier ist. Trotzig nimmt er den Kampf auf, um mit den Erkenntnissen aus jedem Winter immer weiter voran zu kommen.
Die Erkenntnisse sind schlüssig und gut belegt, auch mit anderen Studien (ich hatte mehrfach auf die Problematik des Kalten Flecks für Deutschland und Europa hingewiesen, die ja internationaler Forschungsgegenstand ist, wie das PIK 2015 kommuniziert hatte). Leider bilden sie für uns ein unglaubliches, rational kaum begreifbares Alptraumszenario ab: Kaltwinter wird es in Zukunft in Deutschland und Westeuropa im Flachland und im Mittel der drei Wintermonate nicht mehr geben! Punkt. Die Klimakatastrophe wirkt. Und selbst die Hoffnung gebenden Ansätze wie die Schwächung des Golfstroms führen so am Ende zu weiteren Negativfolgen statt zu der erhofften Abkühlung, sodass unserer Generation am Ende nichts weiter bleibt als zu brennen und auf die sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Klimastein zu warten. Bis der kühle Tod uns von unseren vergeblichen Hoffnungen irgendwann erlösen wird. Mir wird es sicher nicht schwerfallen, loszulassen, wenn der letzte Tag enden wird …
Wer diesem düsteren Szenario nicht folgen mag, dem sind Klimafluchturlaube zu empfehlen. Im Winter gibt es wohl nur noch einen Ort, der unabhängig von Prognosen Winter bieten kann: Island!
Der Beitrag Dr. Judah Cohens ultimative Analyse des Winters 2015/16 und Prognose für den Winter 2016/17 erschien zuerst auf Kaltwetter.com.